Interview mit CarbonFreed-Gründer Marko Ibsch zur Umsetzung der NELEV Novelle und Änderung der Leistungsgrenze für die Anlagenzertifizierung

„Wir verschlafen seit 20 Jahren den Netzausbau“  

„Wir verschlafen seit 20 Jahren den Netzausbau“  

Der Anteil der Erneuerbaren Energien am deutschen Strommix nimmt immer weiter zu. Doch die steigende Anzahl an dezentralen Erzeugungsanlagen überfordert zunehmend das Stromnetz. CarbonFreed-Geschäftsführer Marko Ibsch ist davon nicht überrascht. Die Netze hätten schon vor Jahren an die neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. 

 

Die Zahl der neuen Gewerbeanlagen im zweiten Quartal ist im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres wieder leicht rückläufig. Wie nimmst du die Situation am Markt aktuell wahr? 

Marko Ibsch: „Besonders der April war auch für uns als Unternehmen ungewöhnlich ruhig. Wir haben dann in Gesprächen mit unseren Kunden versucht herauszufinden, woran das liegen könnte. Rückblickend kann man schon sagen, dass zu diesem Zeitpunkt viel Unsicherheit im Markt war – auch weil das Solarpaket der Bundesregierung noch nicht verabschiedet war. Viele Betreiber wussten nicht, ob sie für ihre Solaranlagen überhaupt noch ein Anlagenzertifikat benötigen. Das hat sich dann mit Verabschiedung des Solarpakets gelegt. Ab Mai lief bei uns wieder alles normal. Wir hören aber schon, besonders von unseren größeren Kunden, dass sie sich momentan schwertun, an neue Projekte zu kommen. Gerade bei Freiflächenanlagen gibt es einen enormen Preiskampf, der Installationsbetrieben und Projektierern zu schaffen macht. Aufdachanlagen laufen insgesamt besser.“ 

Marko Ibsch

Die Branche der Erneuerbaren Energien ist insgesamt sehr politikgetrieben. Welchen Job macht die Ampelregierung aktuell mit Blick auf die Energiewende? 

Marko Ibsch: „Du hast vollkommen recht: Die Erneuerbaren sind und waren schon immer sehr von politischen Entscheidungen abhängig – und das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Ampel kriegt momentan viel Gegenwind, mit Blick auf unsere Branche gehen von der aktuellen Bundesregierung aber auch gute Impulse aus. Der Abbau von Bürokratie beispielsweise von Bebauungsrichtlinien hat wirklich etwas gebracht und den Ausbau beschleunigt. In gewisser Weise hat man sich in der Branche schon daran gewöhnt. Es gab schon immer Phasen, die schwieriger waren und es gab Phasen, da lief es für die Erneuerbaren besser. Ich schaue aber schon mit etwas Sorge auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Je nachdem welche politischen Konstellationen es 2025 geben wird, könnte es schon sein, dass es für die Branche wieder komplizierter wird.“ 

Ein großes Thema ist immer wieder der langsame Netzausbau… 

Marko Ibsch: „…und auch diese Diskussionen sind nicht neu. Die Mittelspannungsnetze sind aktuell stark ausgelastet, was bedeutet, dass immer weniger Anlagen in die Mittelspannung integriert werden. Für eine Eingliederung in die Hochspannung würden die Betreiber ein eigenes Umspannwerk benötigen, was aber so teuer ist, dass sich dann das gesamte Projekt nicht mehr rechnet. Das Problem ist einfach, dass wir seit 20 Jahren den Netzausbau verschlafen. In diesem Bereich passiert viel zu wenig und wenn etwas passiert, dann viel zu langsam.“  

Wir sehen immer mehr eine Dynamisierung der Lasten. Die Erzeugung der Energie wird immer weniger an den Verbrauch angepasst, sondern der Verbrauch soll mehr der Erzeugung von Windenergie und Solar folgen.  

Marko Ibsch: „Das ist ein wichtiger Schritt, ganz klar. Aber die Regularien passen oftmals noch nicht, dass sich beispielsweise die Umsetzung eines großen Speicherprojekts lohnt. Eigentlich wäre das doch ganz simpel: Wenn viel Erneuerbare im Netz sind, wird der Strom eingespeichert. Und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Sonne nicht mehr scheint oder kein Wind mehr weht, wird die Energie dann wieder ins Netz zurückgeführt. Das Problem ist aber, dass die Betreiber der Speicheranlagen in diesem Fall zwei Mal die EEG-Umlage und Netzentgelte zahlen müssen: einmal für das Einspeichern und einmal für das Ausspeichern des Stroms. Das macht die Projekte unwirtschaftlich. Das muss sich dringend ändern, damit wir endlich mehr Speicher im Feld sehen.“ 

Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, hat jüngst gefordert, dass neue Photovoltaik-Anlagen verpflichtend steuerbar sein müssten, damit die Netzstabilität zu gewährleisten ist. Sind sie das nicht längst schon? 

Marko Ibsch: „Natürlich sind Solaranlagen steuerbar, sonst könnte man ja das Netz nicht stabil halten. Das ist schon seit Jahren Stand der Technik. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir ständig Schwierigkeiten mit der Frequenz. Ich glaube eher, dass er marktwirtschaftliche Themen meint. Zum Beispiel wie die Anlagenbetreiber vergütet werden, deren Anlagen abgeregelt werden müssen. Mit einer Sache hat Herr Müller allerdings Recht: Die Netze sind eigentlich nicht für diese Form der Dezentralisierung konzipiert und gebaut worden. Das darf aber heute keine Ausrede mehr sein.“  

Wir bauen unser Energiesystem seit mehr als 20 Jahren auf dezentrale Erzeugungsanlagen um. Zeit hatten wir also genug, um hier nachzubessern. 

Marko Ibsch: „Natürlich! Ich bin jetzt seit 18 Jahren in den Erneuerbaren Energien tätig und es war damals schon klar, dass die Netze an die neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Wir brauchen den Netzausbau, das wird seit Jahrzehnten gepredigt. Stattdessen wird es in der Öffentlichkeit so dargestellt, als seien die Erneuerbaren Schuld und würden die Netzstabilität gefährden. Andersherum wird ein Schuh daraus: Seit 20 Jahren wird der Netzausbau verschlafen und deshalb haben viele Netzbetreiber jetzt Schwierigkeiten, die Anlagen ans Netz zu kriegen und sie dann auch vernünftig zu steuern.“ 

Wäre es nicht auch Aufgabe der politischen Entscheider gewesen, den Netzausbau in den abgelaufenen Jahrzehnten voranzutreiben? 

Marko Ibsch: „Die Politik ist hier ganz genauso beteiligt. Auch auf deren Seite wurde das Thema nicht genug gepusht. Wenn ich beispielsweise sehe, welche Auflagen die Netzbetreiber haben und welche Genehmigungsverfahren sie durchlaufen müssen, um ihre Netze auszubauen, dann ist das schon enorm – das dürfen wir nicht vergessen. Dabei wäre ein modernes Netz extrem wichtig für unser Land, auch als Wirtschaftsstandort. Wir hätten durch die Erneuerbaren in vielen Zeiten kostenlose Energie zur Verfügung. Das haben wir aber aktuell nicht, weil die Netze nicht bereit sind und wir deshalb die Anlagen abregeln müssen, statt den Strom in Zeiten mit viel Wind und Sonne intelligent zu verteilen. Uns entstehen im Gegenteil sogar gesellschaftliche Kosten in Milliardenhöhe, weil wir die Anlagenbetreiber dafür kompensieren müssen, wenn wir ihre Anlagen runterfahren oder sogar ganz abregeln müssen. Nur weil wir es nicht schaffen, unsere Netze auszubauen. Dafür habe ich absolut kein Verständnis.“ 

Was müsste denn aus Deiner Sicht geschehen, damit wir mehr Solaranlagen in das Stromnetz integriert kriegen? 

Marko Ibsch: “Es ist eigentlich unglaublich, dass ich das in 2024 noch sagen muss, aber wir brauchen endlich ein klares Commitment der Netzbetreiber und von Behördenchef Klaus Müller zu den Erneuerbaren Energien. Die Energiewende wird kommen und die Energiewende muss kommen – und dafür müssen endlich die Voraussetzungen im Netz geschaffen werden. Wir brauchen dafür von der Politik natürlich auch die passenden Rahmenbedingungen, dass der Netzausbau schnellstmöglich vorangehen kann. Denn nur so schaffen wir es, mehr Erneuerbare ins Netz zu integrieren. Davon profitiert dann nicht nur die Umwelt, sondern eben auch die hiesigen Wirtschaftsunternehmen, die den günstigeren Strom nutzen könnten. Und wenn wir es zeitgleich noch schaffen, die Prozesse beispielsweise beim Thema Netzanschluss noch weiter zu digitalisieren, dann wird die Integration von Windkraft- und Solaranlagen ins System noch reibungsloser verlaufen. Das wäre für alle Marktteilnehmer extrem hilfreich.” 

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